Milos - Monemvasia 14. Oktober
16.45 Uhr: Wir laufen aus. Nachtfahrt. Wie bei jedem Ablegmanöver rennt Pia wild wedelnd vor Begeisterung zwischen unseren Beinen herum und findet alles nur noch aufregend, aufregend. Bis es dämmert wollen wir so weit vom Land entfernt sein, dass wir in keine Fischernetze mehr geraten können. 
Der Himmel zieht sich allmählich ein. Bis 18.30 ist es fast dunkel, eine Stunde später fahren wir in die rabenschwarze Nacht. Pia wird ins Ruderhaus geschickt, trotz Rettungsweste. Vereinzelt fallen ein paar Regentropfen. Die Lichter auf den Inseln hinter uns verschwinden langsam, vor uns liegen 69 Seemeilen bis zum Pelepones. Die hoffnungsvoll gesetzte Genua fällt nach kurzer Zeit in sich zusammen, der Wind schläft ein. Außer dem ruhig vor sich hintuckernden Motor ist nichts zu hören. Wenn der Wind nicht mehr zunimmt und wir keine Segel setzen können brauchen wir mit unserer niedrigen Drehzahl nach unseren Berechnungen zwischen 16 und 17 Stunden bis Monemvasia. Gute 4 Knoten, da läuft das Schiff am ruhigsten, die Vibrationen sind relativ gering und der Spritverbrauch liegt bei einem Liter Diesel pro Stunde. Wir wollen nicht vor Sonnenaufgang im Hafen ankommen, solche Manöver sind gefährlich. Doch wir wissen auch: Je später wir einlaufen, um so mehr Wind und Welle bekommen wir ab. Für den nächsten Tag ist Starkwind und Gewitter angesagt. Immer wieder ein Blick nach hinten, ob das Dingi noch da ist. Es wäre schier unmöglich, etwas Verlorenes in dieser Stockdunkelheit wieder zu finden. 
Allmählich kommen wir der Schifffahrtsstraße näher. Frachter und Fähren tauchen als winzige Punkte am nur zu erahnenden Horizont auf oder kommen von hinten auf uns zu. Auf dem Radarbildschirm sind deren Geschwindigkeiten, Kurse und Entfernungen gut zu erkennen. Weit vor uns blinken die Leuchtfeuer der kleinen Insel Falkonera und dem Riff Karavi, das wir in sicherem Abstand umfahren wollen. In den Wellen um unser Schiff tanzen phosphoreszierende Algen. Vor dem Bug sieht das aus wie ein vom Himmel gefallener Sternenhimmel, der wild durcheinander wirbelt.
2.10 Uhr. Das Leuchtfeuer auf dem Riff, an dem wir gerade vorbei fahren, ist plötzlich verschwunden. Nur auf dem Radar ist der Felsen noch zu erkennen. Die Wolken haben sich verzogen. Neumond. Ein gigantischer Sternenhimmel ist zum Vorschein gekommen, beim Blick nach oben wird man fast hinein gesogen. Unendlichkeit pur. 
Strömung von hinten bringt uns gut einen Knoten Geschwindigkeit mehr. Die Dünung nimmt zu, das Boot rollt schwer auf den Wellen. In den Schränken rutschen Lebensmittel und Geschirr hin und her, das Windspiel im Ruderhaus steigert sich von zartem Bimmeln zu einem aufgeregten Klimpern. Jeder Schritt erfordert ein Ausbalancieren der Schiffsbewegung. Pia kuschelt sich müde unter den Ruderhaustisch. Solange wir da sind, ist für sie alles in Ordnung. 
4.15 Uhr. Noch gut 20 Seemeilen bis Monemvasia. Ganz schwach am Horizont ist ein Lichtschein zu erahnen. Wir kommen dem Festland näher. Bis 5.30 Uhr sind die Lichter von Monemvasia schon deutlich zu erkennen. Doch die Sterne verschwinden langsam in einer Wolkenschicht. Das für heute angekündigte Schlechtwetter schickt seine Vorboten.
6.15 Uhr. Der Horizont wird langsam sichtbar und die Umrisse des Festlands zeichnen sich verschwommen in der Dämmerung ab. Die Dünung hat zugenommen, der Wind bleibt weiterhin zwischen 2 und 3 Bft. Zum Segel setzen zu schwach, da die Genua durch die starke Schiffsbewegung ständig zusammen fallen würde. Pia hat ihren Lieblingsplatz auf der Heckterrasse bezogen und schläft selig vor sich hin. Wir sitzen in den Seitentüren des Ruderhauses, beobachten Himmel und Meer, berechnen unsere Ankunftszeit, halten Ausschau nach Booten und Fischernetzen. Hinter uns geht die Sonne auf und verschwindet sehr bald in einem Wolkennebel. Vor uns ziehen sich über dem Festland drohend dunkle Wolken zusammen. Wetterleuchten nördlich von unserem Zielpunkt. Anspannung. In ein Gewitter hinein zu fahren wäre gefährlich. Abwarten. 

Es ist 8 Uhr, noch gut 4 Seemeilen bis zum Hafen. Die Dünung hat in der letzten Stunde abgenommen, das Schiff arbeitet sich gleichmäßig schaukelnd durch das Wasser. Unsere Blicke richten sich auf das Wasser: Delphine! Sie begleiten uns eine Seemeile lang, spielen mit der Bugwelle, tauchen unter dem Schiff hindurch um auf der anderen Seite elegant aus dem Wasser zu springen. Wir stehen am Deck, genießen das Schauspiel, vergessen die dunklen Wolken, fühlen uns glücklich. 
Mit dem Entschwinden der Delphine richten wir unsere Blicke wieder auf das Festland. Die dunklen Wolken sind weitergezogen, der mächtige Fels von Monemvasia ragt 2 Seemeilen vor uns aus dem Meer, zwischen den Wolkenfetzen blinzelt immer wieder die Sonne hindurch. Wir studieren nochmals den Hafenplan, um bei der Auswahl des Anlegeplatzes die Windrichtung zu berücksichtigen. 
Vorsichtig laufen wir ein, finden den auserkorenen Anlegeplatz noch unbesetzt, machen fest, stellen den Motor ab. Müde und erleichtert hängen wir unseren Gedanken nach und beobachten das erwachende Hafenleben. Am Schwimmsteg, der aussieht als schwimme er jeden Moment davon oder versinke auf den Hafengrund, liegt ein Segelboot mit einer lettischen Chartercrew in komplett blau-weiß-geringelter Einheitstracht. Während die Frauen das Boot herzhaft mit Salzwasser abschruppen, gönnen sich die Männer schon mal mit ein kühles Mythos, bevor sich die ganze Crew dann im Cockpit zum Frühstück trifft. Pia macht derweil den beiden Hunden des vor uns liegenden Segelschiffs klar, dass der Platz vor "ihrem" Boot eben auch "ihr" gehört. Danach wird Freundschaft geschlossen und gespielt - und wir verkriechen uns in die Federn.
  Erlebnisberichte 2004

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